Eine Apotheke der team santé-Gruppe

Andreas Pittler: Aushilfskiller

Revierinspektorin Amelie Klinger war knapp davor zu hyperventilieren. Ihr erster Toter sah alles andere als appetitlich aus. Kein Wunder, er war in der Station Meidlinger Hauptstraße vor die U-Bahn gesprungen, und was von ihm noch übrig war, das passte buchstäblich in handliche Plastiktüten. Klinger erinnerte sich an alte Übungen, um ihren Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. Und doch löste es einiges Befremden in ihr aus, zu sehen, wie routiniert die Kollegen von der KTU mit den Überresten des Mannes umgingen. Neben ihr redete der Psychologe auf den U-Bahn-Fahrer ein, der erkennbar unter Schock stand. Klinger zwang sich zu Professionalität und fing endlich damit an, die Schaulustigen abzudrängen. „Hören Sie bitte auf, den Unglücksort zu filmen“, ermahnte sie einige rotzfreche Jugendliche, die munter ihre Handys auf die Gleise richteten. Ein besonders vorwitziger Junge sah die Polizistin direkt an: „Wieso? Hat sich der Tote beschwert?“

Sie wollte eben zu einer geharnischten Replik ansetzen, als sie hinter sich die Stimme eines der Weißkittel vernahm. „Das müssen Sie sich anschauen, Frau Kollegin. Das wirft ein ganz neues Licht auf die Sache.“ Klinger schwante Übles, doch da musste sie wohl, wenn sie nicht all ihre Reputation verlieren wollte, durch. Sie holte noch einmal tief Luft, dann drehte sie sich um. Eine Bewegung, die sie gleich darauf bereute. Der Mann von der KTU hielt den abgetrennten Schädel des Toten wie eine Trophäe an den Haaren in die Höhe. „Sehen Sie das?“ Dabei deutete er mit der freien Hand auf die Stirn. Eine Aktion, die überflüssig gewesen wäre, denn auch so war Klinger das riesige Einschussloch sofort aufgefallen. Der Mann war also gar kein Selbstmörder gewesen. Vielmehr hatte eine Kugel dafür gesorgt, dass er auf den Gleisen landete. „Das war kein Unfall“, brachte sie mit brüchiger Stimme hervor, „das war Mord.“ Mit zittrigen Händen holte sie ihr Mobiltelefon hervor und tippte ungelenk die Nummernkombination des Landeskriminalamts ein. Es gelang ihr mit einiger Mühe, die Kollegen zu informieren. Diese versicherten, gleich vor Ort zu sein.

Als sich die Kriminalbeamten nur wenig später der Sache annahmen, da zitterte Klinger immer noch wie das sprichwörtliche Espenlaub. „Braucht ihr mich noch?“, kam es heiser aus ihrem Mund, der sich trockener als jede Wüste ausnahm. Die Kriminalisten erklärten, sie hätten alles unter Kontrolle.

Was nicht für Amelie Klinger galt. Ihr Puls raste, der kalte Schweiß stand ihr auf der Stirn, und so intensiv sie auch einatmete, sie wurde das Gefühl nicht los, keine Luft zu bekommen. Getrieben von diesem Ausnahmezustand eilte sie ins Freie, wo sie der intensive Verkehr der Westeinfahrt empfing. Und als sie schon glaubte, ihrer Panik endgültig zu erliegen, fiel ihr Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite. „Team Santé Apotheke Schwenk“ stand in großen Lettern zu lesen, und Klinger hielt eilig darauf zu, um dort, halb keuchend, halb nach Luft schnappend, Passedan zu verlangen. „Merkwürdig“, sagte die Pharmazeutin, „sie sind schon die zweite Person innerhalb einer Stunde, die das heute verlangt. Anscheinend liegt etwas in der Luft.“

Klingers Interesse an dem, was möglicherweise in der Luft lag, hielt sich in mehr als engen Grenzen. Sie träufelte, kaum, dass sie die Apotheke verlassen hatte, 20 Tropfen auf die Zungenspitze und wartete darauf, dass die Wirkung einsetzte.

Wieder halbwegs Frau der Lage ging Klinger zurück zum Tatort. „Das war eine gezielte Hinrichtung“, fasste Major Christian Haider die Lage zusammen. Um gleich danach die Richtung vorzugeben: „Wir brauchen die Bänder der Überwachungskameras.“

20 Minuten später wurden Klinger und Haider fündig. Unscharf, aber dennoch erkennbar, trat ein großer, hagerer Mann in einem Kapuzenpullover an sein Opfer heran, hob eine Waffe und drückte ab. Der Ermordete drehte sich noch halb um die eigene Achse und fiel dann wie ein Stück Holz auf die Gleise, während der Täter eilig durch das Gedränge der Menge aus dem Blickfeld der Kameras verschwand. „Blöd, dass er die Kapuze so tief ins Gesicht gezogen hat“, merkte Klinger an, „da haben wir keine Chance auf ein Phantombild“.

Haider aber war gedanklich schon einen Schritt weiter. „Das erinnert mich an einen Vorfall in Wolfsberg vor kurzem. War da nicht auch so eine Hinrichtung?“ Er klemmte sein Handy ans Ohr, nachdem er zuvor die Nummer der Kärntner Kollegen gewählt hatte. „Habt Ihr nicht vor kurzem einen Mord g´habt, der wie eine gezielte Exekution aussah?“ Der Kärntner Kollege zögerte kurz: „Welchen Anschlag meinen Sie, Herr Kollege? Jenen in Klagenfurt oder jenen in Wolfsberg?“

„Was? Ihr habt sogar zwei Tote?“

„Ja, beide mit gezieltem Kopfschuss getötet.“

„Und wisst ihr etwas über die Opfer?“ Der Kärntner Kriminalist erwies sich als gut informiert: „Der in Klagenfurt war ein russischer Regimekritiker, weshalb wir zunächst einen politischen Hintergrund vermuteten. Aber der in Wolfsberg war ein russischer Oligarch aus der Ukraine, der auf der Fahndungsliste von Kiew stand. Also irgendwie widersprüchlich, das Ganze.“

„Das kannst du laut sagen“, entfuhr es Haider.